Täglich laufen tausende Menschen über den Marienplatz mitten in München. Kaum jemand würde wohl daran denken, dass dieser berühmte Ort noch einige Geheimnisse aufweisen kann – tatsächlich ist es aber so. Und damit meinen wir nicht nur die Jugendstil-Bibliothek, die an eine Filmkulisse aus Harry Potter erinnert. Denn genau an dieser Stelle floss einmal ein Teil des sogenannten Münchner Stadtbach. Diese Besonderheit macht den Bahnhof Marienplatz zu einer einzigartigen Attraktion.
Ein Fluss mitten in der Altstadt

Der Marienplatz, das historische Herz Münchens, wurde nicht immer nur von Gebäuden und Pflastersteinen dominiert. Im Mittelalter wurde hier der Stadtbach angelegt. Er war ein künstliches, verzweigtes System von Kanälen und Bächen, das Wasser von der Isar in die Stadt leitete. So konnten Mühlen angetrieben, Gerbereien versorgt und Stadtgräben gefüllt werden.
Ein Hauptarm des Stadtbachs führt mitten durch die heutige Innenstadt, oft entlang der Kaufingerstraße. Damit wurde sogar auch der Marktbrunnen am Marienplatz gefüllt! Im Mittelalter war München damit sozusagen eine Stadt am Wasser. Ein Leben ohne den Fluss mitten in der Altstadt war kaum denkbar.
Im Laufe der Zeit verschwand der Stadtbach aber zunehmend. Die Kanäle wurden aus hygienischen und städtebaulichen Gründen zugeschüttet oder überwölbt. Sie fließen heute meist in unterirdischen Kanälen oder wurden trockengelegt. Das damals so wichtige Gewässer verschwand aus dem Blickfeld und damit auch aus der Erinnerung.
Die Wiederentdeckung durch den Bahnhofsbau

Aus den Augen, aus dem Sinn hieß es also für einige Zeit. Aber als in den 1960er Jahren die Bauarbeiten für die Münchner S-Bahn-Stammstrecke und die U-Bahn-Netze begannen, mussten die Ingenieur:innen tief in den Untergrund vordringen. Und siehe da: Man fand die Spuren dieses „verlorenen“ Stadtbach.
Die Errichtung des Bahnhofs unter dem historischen Zentrum war eine massive Herausforderung, nicht zuletzt wegen des hohen Grundwasserspiegels und des ehemaligen Flussbetts. Die Bauarbeitenden mussten sehr tief vordringen: Aufgrund des alten Bachs liegt der Bahnhof Marienplatz bei ca. -22 Meter. Damit nicht genug. Der S-Bahnhof ist außerdem der einzige der Stammstrecke, bei dem die beiden Gleise übereinander (statt nebeneinander) liegen.
Bis heute noch spielt die unterirdische Geschichte eine Rolle: Der Bau der 2. S-Bahn-Stammstrecke, die nordöstlich des Marienplatzes einen neuen S-Bahnhof (Marienhof) vorsieht, ist eine der komplexesten Bauarbeiten Deutschlands, da sie in noch größere Tiefen vordringen. Und all das, weil einst einmal ein Stadtbach mitten durch München floss…